DBST Hans von Voltelini

Innsbruck, 31. Juli 1862 – Wien 25. Juni 1938

Die Vorfahren von Hans von Voltelini stammten ursprünglich aus dem Trentino (das Adelsprädikat wurde durch Kaiser Rudolf II. verliehen), kamen jedoch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach Bozen. Urgroßvater und Onkel waren Beamte des Merkantilmagistrats, der Großvater väterlicherseits wirkte als Beamter der staatlichen Zollämter von Bozen und Trient. Der Großvater mütterlicherseits, Johann Ernst, hatte sich als Verwalter des Deutschen Ordens in Bozen niedergelassen. Hans, der Sohn des späteren Oberlandesgerichtsrats Dr. Lorenz und der Ida Ernst, wurde in Innsbruck geboren und erlebte seine frühe Kindheit in Bozen. Die Gymnasialstudien absolvierte er in Innsbruck, wo er auch 1881 an der philosophischen Fakultät der Universität das Fach Geschichte inskribierte. Nach der Berufung seines Vaters zum Senatspräsidenten am Obersten Gerichts- und Kassationshof in Wien, setzte Voltelini seine Studien in Wien fort. Hier besuchte er zwischen 1883 und 1885 auch den sogenannten “Kurs” am Institut für Österreichische Geschichtsforschung, wo ihn dessen damaliger Direktor, Theodor von Sickel nachhaltig prägte. Nach einem Studienaufenthalt am Österreichischen Historischen Institut in Rom trat er 1886 ins Österreichische Haus- Hof und Staatsarchiv ein, wo er bis zum Jahr 1900 tätig war. Seine dortigen Vorgesetzten, Alfred Ritter von Arneth und Gustav Winter förderten die wissenschaftlichen Ambitionen ihres jungen Mitarbeiters. Er konnte daher seine Studien fortsetzen und wurde im Jahr 1887 sub auspiciis imperatoris zum Doktor der Philosophie promoviert, fünf Jahre später erwarb er das Doktorat der Rechtswissenschaften (1892). Mit seinem ersten großen Werk, den Südtiroler Notariatsimbreviaturen des 13. Jahrhunderts habilitierte er sich an der juridischen Fakultät der Universität Wien für Deutsches Recht und Österreichische Reichsgeschichte. Bereits ein Jahr später (1900) erhielt er den Ruf als außerordentlicher Professor für Österreichische Geschichte an die Universität Innsbruck, im Jahre 1902 wurde er zum Ordentlichen Professor ernannt. Von seinen Forschungsinteressen her war Voltelini in diesen Jahren vor allem mit tirolisch-trentinischer Landesgeschichte befasst, dazu war er Senator der Universität (1903-1906) und Dekan der philosophischen Fakultät (1906-1907). Im Jahre 1908 wechselte er an die Universität Wien, wo er an der Juridischen Fakultät als Nachfolger von Otto von Zallinger, der ihn auch bei der Habilitation betreut hatte, die 1893 begründete Lehrkanzel für Deutsches Recht und Österreichische Reichsgeschichte übernahm. Auch in Wien hatte er wichtige Funktionen inne: In den schwierigen Kriegs- und Nachkriegsjahren (1916-1918, 1924-25) führte er das Dekanat der juridischen Fakultät. Nach seiner Emeritierung (1933) wirkte er noch zwei Jahre als Honorarprofessor in Wien. Voltelini war seit 1903 korrespondierendes, seit 1909 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und erhielt eine Reihe von Auszeichnungen: Die Akademie würdigte ihn für seine Habilitationsschrift mit dem Preis der Savigny-Stiftung; anlässlich seines 75. Geburtstages wurde ihm in Wien das Ehrendoktorat der Staatswissenschaften und der Ehrenring der Stadt Wien verliehen. Auch die Universitäten Innsbruck und Bonn haben ihn mit der Würde eines Ehrendoktors ausgezeichnet. Mit 76 Jahren starb Voltelini am 25. Juni 1938 in Wien. Er war niemals verheiratet und lebte bis zu deren Tod (1937) mit seiner Schwester Ida zusammen.
Entscheidend für das wissenschaftliche Werk Voltelinis (ebenso wie für seine langjährige Lehrtätigkeit) war die doppelte Verankerung in den Disziplinen der Geschichts- und der Rechtswissenschaft. Er verfügte, wie Hans Kramer in seiner Würdigung zum 70. Geburtstag schrieb, “über das gesamte Wissen beider Disziplinen, eine Eigenschaft, die nur bei ganz wenigen Männern zu finden ist“ (Kramer 1932, S. 211). Er beherrschte überdies perfekt die italienische Sprache, was ihn zur Aufarbeitung des umfangreichen Trienter Archivmaterials zum Hochmittelalter bestens befähigte.
Bereits in seiner Dissertation hatte er sich mit dem frühmittelalterlichen italienischen Notariatswesen (Das Notariatswesen in Italien im Frühmittelalter) befasst, auch seine Staatsprüfungsarbeit am Institut für Österreichische Geschichtsforschung widmete sich mittelalterlichen Urkunden aus Trient aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Neben einer kleineren Arbeit über die Bestrebungen Maximilians I. um die Kaiserkrone (1890) war es vor allem die Geschichte des Hochstifts Trient, die ihn in den ersten Jahren seiner wissenschaftlichen Laufbahn beschäftigte. Die Anregung zur Aufarbeitung und Edition der Südtiroler Notariatsimbreviaturen war von Oswald Redlich ausgegangen, bemerkenswert an dieser mustergültigen Edition war die umfangreiche Einleitung zur Geschichte des Trienter Notariatswesens im Brennpunkt von bayerischem, langobardischen und Römischem Recht. Mit der Abhandlung über Die ältesten Statuten von Trient und ihre Überlieferung (1902) widerlegte Voltelini die bisher gültige Lehrmeinung, die ältesten Statuten Trients seien in deutscher Sprache abgefasst worden. Auf Grund dieser Arbeit wurde er vom Geographen Eduard Richter zur Mitarbeit am Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer, ein an der Akademie angesiedeltes Projekt, gewonnen, wofür er die Landgerichtskarte des “welschen Südtirol“ bearbeiten sollte. Aus dieser langjährigen wissenschaftlichen Tätigkeit sind neben der Karte des Trentino (1919) auch eine Reihe von Abhandlungen über die Entstehung der Landgerichte im bayerisch-österreichischen Rechtsgebiet hervorgegangen. Anlässlich der Hundertjahrfeier des Tiroler Aufstandes von 1809 sah sich Voltelini veranlasst, als vormaliger Ordinarius für Österreichische Geschichte in Innsbruck auch zu diesem Thema Stellung zu nehmen. Im Jubiläumsjahr 1909 erschien auf der Grundlage neuer archivalischer Quellen, insbesondere aus dem französischen Außenministerium, seine Monographie Forschungen und Beiträge zur Geschichte des Tiroler Aufstandes im Jahre 1809, in der er den Tiroler Aufstand in den Gesamtkontext der europäischen Geschichte stellt. Auch den berühmten letzten Brief Andreas Hofers an Erzherzog Johann kurz vor seiner Gefangennahme hat Voltelini damals herausgebracht.
Infolge der Übersiedlung nach Wien rückte dann naturgemäß die Geschichte Wiens in den Vordergrund seiner wissenschaftlichen Interessen – er publizierte Die Anfänge der Stadt Wien(1913) und befasste sich in mehreren Abhandlungen mit der Verfassungs-und Sozialgeschichte Wiens im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In den Zwanziger Jahren übernahm Voltelini für die “Monumenta Germaniae Historica“ die Herausgabe des Schwabenspiegels, wofür er ca. 350 überall in Europa verstreut liegende Handschriften erforschte. Häufig berichtete er über den Fortgang dieser Arbeiten im Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Die strukturgeschichtliche Verknüpfung von Rechtsgeschichte mit politischen und gesellschaftlichen Fragen war Voltelini bereits früh ein Anliegen. In seiner programmatischen Schrift Die österreichische Reichsgeschichte, ihre Aufgaben und Ziele (1901) fordert er, spätere moderne Fragestellungen vorwegnehmend, eine Geschichte des österreichischen Staatswerdungsprozesses ein: Es gehe bei der “Österreichischen Reichsgeschichte“ um die “Besiedelung und Entstehung der einzelnen Territorien, ihre Vereinigung in der Hand einer Dynastie und endlich ihre Verschmelzung zu einem Staatswesen“ (S. 102). Mit dieser zukunftsweisenden österreichische Geschichtsauffassung war er dem späteren „kleinösterreichischen“ und auf Wien zentrierten Geschichtsbild weit voraus; sie blieb jedoch über seine unmittelbaren Nachfolger an der Professur für Österreichische Geschichte (Hermann Wopfner, Franz Huter) hinaus bis ins 21. Jahrhundert hinein für die “Innsbrucker Schule“ von größter Bedeutung.
Nachlass im Museum Ferdinandeum und im HHSTA Wien (Sign. AT-OeStA/HHStA SB Nl Voltelini).

Wichtigste Werke

  • Die Bestrebungen Maximilians I. um die Kaiserkrone 1518, in “Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung“, 11 (1890), S. 41–86, 574-626.
    Südtiroler Notariatsimbreviaturen des 13. Jahrhunderts, Innsbruck 1899 (Acta Tirolensia, 2).
  • Die österreichische Reichsgeschichte, ihre Aufgaben und Ziele, in: “Deutsche Geschichtsblätter. Monatsschrift zur Förderung der landesgeschichtlichen Forschung“, II/4 (1901), S. 97-108.
  • Die ältesten Statuten von Trient und ihre Überlieferung, Wien 1902
  • Forschungen und Beiträge zur Geschichte des Tiroler Aufstandes im Jahre 1809, Gotha 1909.
  • Die Anfänge der Stadt Wien, Wien 1913.
  • Der Bericht über die Rechte des Herzogs von Kärnten in zwei Handschriften des Schwabenspiegels, in Aus Politik und Geschichte. Gedächtnisschrift für Georg von Below, Berlin 1928, S. 95-111.
  • Die österreichischen Alpen. Eine zusammenfassende Darstellung, Wien 1928.
  • Ottokars Österreichische Reimchronik und der Schwabenspiegel, in “Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung”, 50 (1930), S. 385-388.

Bibliografie/Schriften über Voltelini

  • Hans Kramer, Hans von Voltelini. Zu seinem 70. Geburtstag am 31. Juli, in “Der Schlern“, 13 (1932), S. 210–215 (mit ausführlichen bibliographischen Angaben).
  • Otto Stolz, Zum Geleite, in Festschrift Hans v. Voltelini zum siebzigsten Geburtstage, 31. Juli 1932, Innsbruck 1932 (Veröffentlichungen des Museum Ferdinandeum, 12), S. IX–XII Oswald Redlich, Hans von Voltelini. Ein Nachruf, in “Almanach der Akademie”, 88 (1938), S. 1-7.
  • Hans Kramer, Erinnerungen an den Rechtshistoriker Hans von Voltelini, in Festschrift Hans Lentze. Zum 60. Geburtstag dargebracht von Fachgenossen und Freunden, hg. von Nikolaus Grass und Werner Ogris, Innsbruck – München 1969, S. 359-368, dort auch eine Porträtfotographie aus dem Bildarchiv der ÖNB.
  • Rudolf Palme, Hans von Voltelini, in Juristen in Österreich. 1200-1980, hg. von Wilhelm Brauneder, Wien 1987, S. 257-260.
  • Getrud Pfaundler, Voltelini, in Tirol-Lexikon. Ein Nachschlagewerk über Menschen und Ortes des Bundeslandes Tirol, vollständig überarbeitete und ergänzte Neuauflage, Innsbruck – Wien 2005, S. 650.

Brigitte Mazohl