Innsbruck, 31. März 1881 – Innsbruck, 4. November 1957

Otto Stolz stammte aus einer Innsbrucker Akademikerfamilie, der Großvater war Direktor der “Landesirrenanstalt“ Hall i. T. gewesen, der Vater, Otto, Professor für Mathematik an der Universität Innsbruck. Seine Mutter, Paula Meyer, war die Tochter eines Innsbrucker Kaufmanns. Stolz absolvierte Volksschule und Gymnasium in Innsbruck, meldete sich anschließend für ein Freiwilligenjahr bei den Tiroler Kaiserjägern und inskribierte im Jahr 1900 die Fächer Geographie und Geschichte an der Universität Innsbruck. Seine wichtigsten Lehrer waren die Historiker Emil von Ottenthal und Hans von Voltelini, die ihm auch nahelegten, am Wiener Institut für Österreichische Geschichtsforschung seine Studien fortzusetzen. Er absolvierte in den Jahren 1903-1905, gefördert insbesondere von seinem Landsmann Oswald Redlich, den 25. Ausbildungskurs am Institut. Im Jahr 1905 wurde er, 24jährig, mit einer Arbeit über das “Das mittelalterliche Tiroler Zollwesen“ in Wien promoviert und legte mit ausgezeichnetem Erfolg die Staatsprüfung ab. Nach Innsbruck zurückgekehrt versuchte er, im Statthalterei-Archiv – heute Tiroler Landesarchiv – Fuß zu fassen, was zunächst nicht gelang. Oswald Redlich bot ihm die Mitarbeit beim an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelten Projekt “Historischer Atlas der Österreichischen Alpenländer“ an, was freilich noch keine bleibende berufliche Perspektive in Aussicht stellte. Daher absolvierte Stolz im Jahr 1906 das Lehramtsstudium für Geographie und Geschichte, um als Alternative zur wissenschaftlichen Laufbahn den Lehrerberuf ergreifen zu können. Dennoch boten sich dank der Förderung durch seine Lehrer neue wissenschaftliche Möglichkeiten an. Im Studienjahr 1906/07 erhielt er ein Stipendium für einen Studienaufenthalt am Österreichischen Historischen Institut in Rom, Oswald Redlich bot ihm eine Stelle im Wiener Statthaltereiarchiv an; Otto Stolz entschied sich jedoch für einen zweiten Versuch im Innsbrucker Archiv, wo er im Jahr 1908 als Praktikant seine Tätigkeit aufnehmen konnte. Vier Jahre später, 1912, wurde er zum Konzipisten befördert, nachdem er sich beim Innsbrucker Extraordinarius für Österreichische Geschichte und Allgemeine Wirtschaftsgeschichte, Hermann Wopfner, habilitiert hatte. Von da an konnte er nach langen Jahren des “akademischen Prekariats“, wie man dies heute nennt, seine berufliche Existenz als gesichert betrachten. Doch die berufliche Sicherheit wurde durch den Ersten Weltkrieg bald unterbrochen: Im August 1914 wurde Stolz zum Kriegsdienst eingezogen, er kam mit dem Tiroler Landsturmregiment II nach Galizien und geriet in russische, später japanische Kriegsgefangenschaft. Erst im Jahr 1920 konnte er nach Tirol zurückkehren – wie für viele seiner Zeitgenossen war nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie auch für Stolz eine Ära zu Ende gegangen und wie viele seiner Zeitgenossen glaubte auch er nicht an die Überlebensfähigkeit des österreichischen Kleinstaats. Auch mit dem Verlust Südtirols konnte er sich nur schwer abfinden.
Trotz der politischen Umwälzungen nahm Otto Stolz, nunmehr als Staatsarchivar, seine Tätigkeit im Archiv, mittlerweile Tiroler Landessregierungsarchiv, wieder auf. Bei der ersten sich bietenden Möglichkeit zum Direktor befördert zu werden (1923) zunächst erfolglos, avancierte Stolz schließlich doch, 51jährig, im Jahr 1932 zum Archivdirektor, ein Amt, in dem er bis zu seiner Pensionierung 1946 verblieb. Eine ihm nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft angebotene Professur für Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Prag hatte er ausgeschlagen, umgekehrt blieb seine Bewerbung an der Universität Graz für die Nachfolge von Heinrich von Srbik chancenlos. An der Universität Innsbruck erhielt er zwar den Titel eines Extraordinarius ad personam, verbunden mit einem dreistündigen Lehrauftrag, doch konnte er auch in Innsbruck an der Universität nicht wirklich Fuß fassen. 1926 erhielt der den Titel eines ordentlichen Professors für Österreichische und Tiroler Geschichte, doch war damit kein Lehrstuhl verbunden. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften wählte Otto Stolz 1935 zum korrespondierenden Mitglied, wirkliches Mitglied ist er allerdings nicht geworden. In Tirol hingegen bekleidete er auch außerhalb des Archivs eine Reihe von wichtigen Funktionen: In den 1920er Jahren war er als Obmann des “Sonnwendringes“ der deutsch-völkischen Vereine Innsbrucks für die Organisation der Sonnwendfeuer verantwortlich, zwischen 1931 und 1937 fungierte er als Vorstand des Verwaltungsausschusses des Tiroler Museums Ferdinandeum, überdies war er Leiter des wissenschaftlichen Unterausschusses für Geschichte des Alpinismus und der Alpenländer sowie Obmann der Historischen Kommission des Museums. Von der Juridischen Fakultät der Universität Innsbruck, an der er ebenfalls lehrte, wurde ihm 1951 das Ehrendoktorat verliehen. In der Zeit des Nationalsozialismus war er Parteimitglied, was er später mit seiner Tätigkeit als Archivdirektor begründete. Im Jahr 1922 heiratete er Antonie Huber, ein Jahr später wurde sein einziges Kind, der Sohn Otto, geboren.
Von seinen wissenschaftlichen Interessen ist Otto Stolz tief in der “Alttiroler“ Landesgeschichte (samt dessen Nachbarländern) verwurzelt, wobei er sich einerseits durch thematische Vielfalt und Breite, andererseits durch einen großen zeitlichen Horizont auszeichnet. Ursprünglich von wirtschaftlichen Fragen und vom Mittelalter her kommend, hat er sich in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vermehrt mit Fragen der politischen Rechts- und Verfassungsgeschichte beschäftigt und – angesichts der damals aktuellen Südtirolproblematik verständlich – auch vermehrt der neueren Geschichte und der Zeitgeschichte zugewandt. Auch die akademische Doppelausbildung als Geograph und Historiker ist in seinen landesgeschichtlichen Studien deutlich erkennbar. Ausgehend von den Arbeiten am Historischen Atlas der Alpenländer erschien 1912 eine Geschichte der Gerichte Deutschtirols, nach dem Ersten Weltkrieg brachte er die zwei gewichtigen Bände zur Politisch-historische(n) Landesbeschreibung von Tirol(Nordtirol 1923/6, Südtirol 1937) heraus; parallel dazu arbeitete er auf der Grundlage von mittelalterlichen Urkunden an seinem vierbändigen Werk über Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol, um die historische Zugehörigkeit des an Italien abgetretenen Südtirol zur “deutschen“ bzw. “österreichischen“ Kultur nachzuweisen. Zahlreiche Arbeiten sind der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Tirols sowie der Geschichte von Handel und Verkehr gewidmet, auch gibt es eine Reihe von lokalgeschichtlichen Beiträgen (Wilten, Vils, Zillertal, Hall, Ötztal, Meran und Burggrafenamt etc.); auch zur Geschichte des Tiroler Bauerntums hat er, hierin Hermann Wopfner folgend, z.T. ideologisch grundierte Studien verfasst. In einigen Arbeiten, so z. Bsp. mit der Studie Zur Entwicklungsgeschichte des Zollwesens innerhalb des alten Deutschen Reiches (1954) oder mit dem Beitrag Ein venetianisch-böhmisch-belgisches Verkehrsprojekt Kaiser Karl IV. (sic) weist sich Otto Stolz jedoch auch als ein über die “Alttiroler“ Landesgeschichte hinausblickender Historiker aus. Methodisch eher der Tradition des wissenschaftlichen Positivismus verhaftet, konnte er mit neuen strukturgeschichtlichen Ansätzen, wie sie etwa sein jüngerer Kollege Otto Brunner vertrat, wenig anfangen, wie aus seinen Auseinandersetzungen mit diesem deutlich hervorgeht.
Insgesamt hat Otto Stolz 489 Schriften, darunter 19 Monografien, 324 Beiträge zu Atlanten, Sammelwerken und Zeitschriften, sowie 146 Zeitungsartikel verfasst.
Nachlass im Tiroler Landesarchiv (TLA, NL Otto Stolz).

Wichtigste Werke

  • Das mittelalterliche Zollwesen Tirols bis zur Erwerbung des Landes durch die Herzoge von Österreich (1363), Wien 1909 (Sonderabdruck aus dem Archiv für österreichische Geschichte, 97).
  • Geschichte der Gerichte Deutschtirols. Abhandlungen zum historischen Atlas der österr. Alpenländer, Landgerichtskarte von Deutschtirol, Wien 1912 (Aus: Archiv für Österreichische Geschichte, 102).
  • Ein venetianisch-böhmisch-belgisches Verkehrsprojekt Kaiser Karl IV., in “Mitteilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen“, 52 (1914), S. 413-422.
  • Politisch-historische Landesbeschreibung von Tirol, 2 Teile (über Nord- und Südtirol), Wien 1923-1939.
  • Die Schwaighöfe in Tirol. Ein Beitrag zur Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte der Hochalpentäler, Innsbruck 1930 (Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, 5).
  • Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden, 4 Bde, Bozen 1927-1934.
  • Rechtsgeschichte des Bauernstandes und der Landwirtschaft in Tirol und Vorarlberg, Bozen 1949.
  • Geschichte des Zollwesens, Verkehrs und Handels in Tirol und Vorarlberg: von den Anfängen bis ins XX. Jahrhundert, Innsbruck 1953 (Schlern-schriften, 108).
  • Zur Entwicklungsgeschichte des Zollwesens innerhalb des alten Deutschen Reiches, in “Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“, 41 (1954), 1, S. 1-41.
  • Geschichte des Landes Tirol. Quellen und Literatur, Land und Volk in geschichtlicher Betrachtung, allgemeine und politische Geschichte in zeitlicher Folge, Innsbruck – Wien 1955.

Bibliografie/Schriften über Stolz

  • Ernst Durig, Geleitwort, in Festschrift zu Ehren Hofrat Prof. Dr. Otto Stolz‘, Innsbruck, 1951 (Veröffentlichungen des Museum Ferdinandeum, 31).
  • Nikolaus Grass, In memoriam Otto Stolz, in “Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“, 75 (1958), Sonderdruck, S. 589-594.
  • August Loehr, Otto Stolz. Nachruf, in “Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften“, 108 (1958), Sonderdruck, S. 349-361.
  • Hans Kramer, Der Tiroler Historiker Otto Stolz. Probleme seiner Laufbahn, Innsbruck 1972 (Schadelbauer-Festschrift).
  • Nikolaus Grass, Otto Stolz 1881-1957 (1958 veröffentlicht), in Wissenschaftsgeschichte in Lebensläufen, hg. von Louis Carlen, Hans Constantin Faußner, Hildesheim 2001, S. 387-393.
  • Einen besonders eindrücklichen Überblick bietet: Gerhard Siegl, Otto Stolz (1881-1957). Trotz Fleiß kein Preis? Der geknickte Marschallstab, in Österreichische Historiker 1900–1945, 1, hg. von Karel Hruza, Wien 2008, S. 419-460.

Brigitte Mazohl